Grüner leben

Spielzeugfreie Zeit und wenn Kartons cooler sind als Konsolen

Stell dir vor, du betrittst den Kindergarten und es gibt keine Spielsachen – nicht einen einzigen Bauklotz, keine Puppenecke und kein einziges Kuscheltier. Genau das haben wir erlebt, als unser Kindergarten beschloss, einen ganzen Monat lang eine Spielzeugfreie Zeit einzuführen. Das Experiment „Spielzeugfreie Zeit“ sollte unsere Kinder dazu anregen, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, eigenständig zu handeln und neue Fähigkeiten zu entwickeln. In diesem Blogbeitrag erzähle ich von unseren anfänglichen Bedenken, unseren Herausforderungen und den überraschend positiven Ergebnissen dieses aufregenden Projekts.

Spielzeugfreie Zeit im Kindergarten: Ein Experiment und seine Auswirkungen

Vor einiger Zeit ging bei uns im Kindergarten ein Elternbrief raus. Darin wurde uns Eltern mitgeteilt, dass es im kompletten Monat Juli keine Spielsachen im Kindergarten geben wird. Ganze 4 Wochen lang das Experiment Spielzeugfreie Zeit. Na toll, was das wohl wird? Da ich über dieses Konzept bisher nicht informiert war, wusste ich natürlich nicht ob ich mich freuen oder mich doch lieber beschweren sollte. Auch mein Sohn war sichtlich irritiert und hatte regelrecht bedenken wie das wohl werden wird. Aber na ja, der Entschluss des Kindergartens zu diesem Experiment stand fest. Also beschlossen wir keine Spielverderber zu sein und machten einfach mit.

Die Sorgen und Bedenken gerade bei den Kindern waren am Anfang sehr groß. Mit was sollten sie denn spielen wenn ihnen das ganze Spielzeug weggenommen wird? Immer und immer wieder fanden deshalb Diskussionen zu Hause aber auch im Freundeskreis statt. An manchen Tagen war mein Sohn richtig demotiviert dieses Projekt anzufangen. Kein Wunder, denn eine riesige Veränderung stand bevor die es so in dieser Art im Kindergarten noch nicht gab. Für die Kinder ist das sicherlich beängstigend.

Andererseits fördert das viele Spielzeug, bei denen schon vorgegeben ist wie man damit spielt nicht gerade die Kreativität der Kinder. Nachhaltiges, offenes Spielzeug das nicht vorgibt was damit geschehen muss ist mit Sicherheit die bessere Wahl, vor allem um intensiver aber auch kreativer zu spielen. Also beschlossen wir uns offen der neuen Herausforderung zu stellen.

Elternabend zur Aufklärung

Aufklärung fand relativ schnell nach der Ankündigung der Spielzeugfreien Zeit in Form eines Elternabends statt. Dort wurde das Konzept und die genauen Details zur Umsetzung erklärt. Entgegen meiner verrückten Vorstellung, sollten die Erzieher nicht für die Bespaßung der Kinder sorgen. Wie konnte ich nur an sowas denken? Sie wanderten in die Rolle der stillen Beobachter und sollten nur im Ausnahmefall eingreifen.

Selbständige Ideenentwicklung der Kinder

Die Ideen sollten ausschließlich von den Kindern kommen. Weder die Erzieher noch die Eltern sollten Spielideen liefern. Kuscheltiere und Spielsachen sollten von zu Hause nicht mehr mitgebracht werden. Das galt auch fürs Handy. Grenzen und Regeln werden in den ersten Tagen aufgestellt. Auch kann es vorkommen dass die Kinder keine Lust mehr haben in den Kindergarten zu gehen. Trotzdem sollte man als Eltern dem Wunsch nicht nachkommen da die Kinder sehr viel in dieser Zeit im Kindergarten lernen.

Die Vorteile der Spielzeugfreien Zeit für die Kindliche Entwicklung

In unserem Kindergarten sollte die Spielzeugfreie Zeit erstmal genau 4 Wochen dauern. Ganz im Gegensatz zu dem was ich mir vorgestellt hatte unter der Spielzeugfreien Zeit bringt sie den Kindern unglaublich viele Vorteile mit, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten wird.

Diese Fähigkeiten können die Kinder fürs Leben lernen:

  • Kooperation und Konfliktfähigkeit: Die Kinder lernen zu kooperieren und Konflikte untereinander zu lösen. Letztendlich stehen sie vor einem Problem für das sie sich selbst eine Lösung einfallen lassen und ihren Plan umsetzen müssen.
  • Selbständigkeit: Die Förderung der Selbständigkeit steht ganz oben bei dem Konzept der Spielzeugfreien Zeit. Seitens der Erzieher aber auch der Eltern soll den Kindern wirklich nichts vorgegeben werden. Sie sollen die Chance haben sich selbständig etwas auszudenken was sie spielen und erfinden wollen.
  • Körpererfahrung: Heutzutage spielt sich das Leben vieler Kinder in geschlossenen Räumen ab. Umso wertvoller ist es wenn sie die Möglichkeit haben sich draußen auszutoben, die Natur und ihre Schätze zu greifen und BE-greifen. So können sie die Natur mit all ihren Sinnen erleben.
  • Kommunikationsverhalten und Sprachentwicklung: Die Spielzeugfreie Zeit bietet extrem viel Potential das Kommunikationsverhalten zu schulen. Dadurch dass kein vorgefertigtes Spielzeug zur Verfügung steht, sind die Kinder quasi gezwungen sich auszutauschen. Schon allein dass sie mit den vorhandenen Dingen haushalten müssen, erfordert es dass sie Dinge friedvoll untereinander tauschen.
  • Konfliktverhalten: Natürlich birgt dieses Experiment auch Konfliktpotential. Denn auch Konflikte sollen von den Kindern selbst gelöst werden ohne Einschreiten des Kindergartenpersonals. Aber natürlich greifen sie ein falls es zu eskalieren droht.
  • Selbstvertrauen: Ganz wichtiger Punkt. Die ersten Erfolge der Kinder werden durch die Ideen sehr schnell sichtbar. Das bestärkt sie an sich und ihre Fähigkeiten zu glauben. Aber auch in gewissen Situationen Hilfe einzufordern wo es notwendig ist.

Ablauf der Spielzeugfreien Zeit

Woche 1: Spielzeug weg, Kartons her

In der ersten Woche wurde das vorhandene Spielzeug zusammen mit den Kindern gereinigt und in Kisten verräumt. Anschließend ist das Spielzeug auf dem Dachboden verstaut worden. Die Kinder bekamen in der ersten Woche Kartons zum spielen. Dazu durften die Eltern Kartons, Eierschachteln, Zeitungen und Verpackungen in allen möglichen Größen im Kindergarten abgeben. Wichtig war nur dass keine bunten Bilder drauf waren, die schon ein Bilderbuchkino in den Kinderköpfen abspielen lassen. Auf Nachfragen der Kinder haben sie Klebeband und Scheren zum verkleben ihrer Konstruktionen bekommen. Die Idee danach zu fragen sollte aber auch von ihnen kommen. Es wurde also wirklich nichts vorgegeben.

Woche 2: Stoffe und Naturmaterialien

In der zweiten Woche kamen Stoffe hinzu. Auch diesmal durften wir Eltern unsere Vorräte plündern. Egal ob alte Bettlaken, Stoffreste oder ausrangierte Kleidungsstücke die zerschnitten wurden. Alles durfte zum Spielen verwendet werden. Auch in der zweiten Woche bekamen die Kinder noch Zapfen, Kastanien, Steine, Schaschlikspieße und andere Naturmaterialien zum Spielen und Sortieren. Und um es vorweg zu nehmen: Es sind richtig kreative Einzelstücke entstanden aus den wenigen vorhandenen Materialien.

Woche 3: Küchenutensilien

In der 3. Woche durften die Kinder sich mit Kochlöffeln und Küchenutensilien austoben.

Woche 4: Plastikschüsseln

Und in der 4. Woche wurde das bereits vorhandene Sortiment durch Plastikschüsseln ergänzt. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten die Plastikschüsseln z.B. durch alte Kochtöpfe ergänzt werden können. Aber das ist wirklich jammern auf hohem Niveau. So hatten die Plastikschüsseln doch noch eine sinnvolle Verwendung gefunden bevor sie auf dem Müll landen. In diesem Sinne: Win win für die Kinder und die Umwelt.

Kreativität, Spaß ohne Ende und fantasievolle Welten

Insgesamt war die Spielzeugfreie Zeit ein voller Erfolg. Viele Kinder haben zwar die erste Zeit gebraucht ohne vorgefertigte Spielsachen auszukommen. Aber nach ca. 3 Wochen konnten auch die letzten Kinder die Spielzeugfreie Zeit komplett kreativ auskosten. Da dieses Experiment im Sommer statt fand, konnten die Kinder jeden Tag draußen im Garten spielen. Dort standen ihnen sämtliche Klettergerüste (das Abbauen wäre zu viel verlangt gewesen) und Spielgeräte zur Verfügung. Lediglich die Spielsachen wie Laufräder oder Sandspielzeug wurden in diesen Wochen nicht herausgegeben.

Das ist eine selbst entworfene und gebastelte Ninja Maske

Es sind die Wunderbarsten Ideen entstanden. Die Mädchen sind in die Welt der Prinzessinnen und Einhörner eingetaucht während die Jungs sich zu Rittern verwandelt haben und sämtliche Action Helden durchgespielt haben. Auch Star Wars, Minecraft und andere Computerspiele waren hoch im Kurs. Die Kinder haben die Spielzeugfreie Zeit so sehr genossen dass sie nochmals um 2 weitere Wochen bis zur Sommerpause verlängert wurde.

Fazit: Spielzeugfreie Zeit auch zu Hause einführen?

Da die Spielzeugfreie Zeit im Kindergarten so gut ankam, überlege ich wirklich sie auch zu Hause wenigstens Wochenweise einzuführen. Nach den vielen Bedenken am Anfang kam mein Sohn am 2. Tag wirklich nach Hause und sagte: „Das ist das coolste was es gibt!“ Ein besseres Kompliment kann man nicht machen. Auch die vielen positiven Fähigkeiten die die Kinder sich fürs ganze Leben aneignen können, sind ein nicht zu unterschätzendes Argument offen diesem Experiment zu begegnen.

Ich hoffe dir hilft diese Zusammenfassung unserer Spielzeugfreien Zeit und nimmt dir etwas die Bedenken.

Hast du auch schon Erfahrungen ohne Spielsachen im Kindergarten oder sogar zu Hause machen dürfen? Erzähl´s mir gern!

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2 Kommentare

  1. Vorweg, ich habe keine Kinder, aber kann mir sehr gut vorstellen, dass das eine tolle Idee ist. Ich kann nur bestätigen, ich selbst bin mit ziemlich wenig Spielzeug großgeworden und nur dann kann man anfangen seine Kreativität auszuleben. Einen Versuch ist es doch auf jeden Fall wert, oder?

    1. Liebe Jenny,
      genau so sehe ich das auch! Mit wenig Spielzeug aufzuwachsen finde ich wirklich toll! Hat dir als Kind etwas gefehlt? Schade finde ich nur dass es durch die Spielzeugindustrie mit ihren vielen Plastikspielsachen kaputt gemacht wird. In den ersten Jahren mit Kind bin ich auch in ihre Falle getappt. Mein großer Sohn hat deshalb relativ viel Spielzeug, spielt aber damit so gut wie gar nicht. Am kreativsten spielt er tatsächlich mit ganz normalen Holzbauklötzen oder Lego. Genau deshalb bin ich wirklich am überlegen einfach das ganze Spielzeug weg zu räumen. Er wird es vorerst sicher nicht vermissen. Und wenn doch, dann ist es ja nicht weg.

      Ganz liebe Grüße
      Hedi

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